Die Aufmerksamkeitsspanne und ihre Tücken

Erinnerst du dich an deine Marketing-Ausbildung, wo du gelernt hast, dass die Aufmerksamkeitsspanne bei ca. 12 Sekunden liegt? Das ist heute längst überholt! Aktuell geht man von einer Aufmerksamkeitsspanne von ca. 5 Sekunden aus. Wahrscheinlich wars das jetzt und du hast dir bereits in diesem Moment eine Meinung zu diesem Beitrag gebildet?

Die Beobachtung, dass man kaum mehr einen kompletten Artikel von vorne bis hinten aufmerksam durchliest, stelle ich auch an mir selbst fest. Meist überfliege ich nur die Absätze, nachdem ich die ersten zwei oder drei Wort für Wort gelesen habe. Wenn mich ein Artikel wirklich fesselt oder interessiert, dann lese ich ihn auch aufmerksam bis zum Ende und lese ihn vielleicht sogar ein zweites Mal, um auch wirklich alle Nuancen in mich aufzunehmen.

Viele Meldungen sind heutzutage deutlich gekürzt, um möglichst wenig Zeit der Lesenden zu beanspruchen. Die Schnelligkeit, wie oft neue Meldungen veröffentlicht werden, hat sich jedoch enorm gesteigert. Bei vielen Publikationen im News-Bereich stellt man zudem fest, dass sie im copy&paste Verfahren Meldungen der Presseagenturen übernehmen, ohne auf Rechtschreibfehler zu achten oder eigene Recherchen anzustellen.

Ebenso wird den Webusern suggeriert, schnelles Lesen könne erlernt werden und wäre das ultimative Ziel. Es gibt sogar extra Apps, die Bücher so zusammenfassen, dass man sie gar nicht mehr selbst lesen muss, weil alles vermeintlich Wichtige in der Zusammenfassung steht. Auch gibt es Coaches, die damit ihr Geld verdienen, anderen Menschen beizubringen, ihren Lesefluss zu optimieren. Wo ist die Zeit geblieben, in der man genüsslich in ein Buch versinken, die Welt um sich herum für einen Moment vergessen und in andere Sphären abtauchen kann? Ist die Lesekultur dank sozialer Medien eine Randerscheinung geworden?

Wir haben dank Twitter gelernt, in sehr wenigen Zeichen unsere Meinung auszudrücken. Zuerst mussten wir mit 140 Zeichen auskommen, inzwischen sind es doppelt so viele. Wer glaubt, dass 280 Zeichen immer noch zu kurz sind, sollte vielleicht mal einen Blick in den aktuellen Twitter-Feed werfen. Diese Kompaktheit gepaart mit der Schnelllebigkeit dieses Feeds birgt allerdings auch die Tücke, niemals tief genug in eine Materie einsteigen zu können, um sich wirklich informiert mit anderen darüber auszutauschen.

Außerdem herrscht fast überall im Web ein sehr harscher Ton. Statt einen konstruktiven Kommenater zu schreiben, wird massives “Bashing” betrieben. Man hängt sich an der Überschrift oder den Inhalten der ersten zwei Absätze auf, legt jedes Wort auf die Waagschale und zerreißt die Schreiberlinge in der Luft. Es wird mit Fremdworten jongliert, als ob diese das Geschriebene rechtfertigen. Dann folgen Klischees und Phrasendrescherei, um auch ja nicht aufzufallen zwischen all denjenigen, die genauso kommentieren.

Das habe ich erst kürzlich erlebt, als eine Bekannte einen Artikel veröffentlichte, der laut Algorithmus ca. 11 Minuten zum Lesen beanspruchte. Ein umfangreicher, gut ausgeführter Beitrag, der zu Beginn die Meinung einer anderen Person aufführt, um diese Meinung in Folge zu erörtern und zu widerlegen. Statt den Beitrag aufmerksam bis zum Schluss durchzulesen, bemüßigten sich einige Lesenden, sofort einen Kommentar darunter zu setzen, der mit den Worten anfing “Ich habe zwar den Artikel nicht ganz gelesen, aber…” oder auch (wie bereits oben erwähnt) sich an der zu diskutierenden Meinung des ersten Abschnitts aufzuhängen und diese als überholt zu bezeichnen – was diese natürlich auch ist und im Artikel entsprechend ausgeführt wurde.

Für mich, die den Artikel sogar zweimal las, weil ich beim ersten Mal nicht den Kopf dafür hatte und nur überflog, waren diese Kommentare ganz offensichtlich von Lesenden geschrieben, die möglichst schnell und mit voller Wucht die Überschrift und den Intro des Artikels anklagen wollten. Diese Art, sich in Sozialen Medien zu allem und jedem zu äußern, aber nie mit der vollen Aufmerksamkeit, sondern immer nur mit einer in Sekundenschnelle gebildeten Meinung, ist leider auch genau das, was ebendiese “sozialen” Medien unsozial und nervtötend macht.

Wenn du es also geschafft hast, diesen Beitrag bis zu diesem Punkt aufmerksam zu lesen, dann gehörst du vermutlich zu den Wenigen, die noch mit voller Aufmerksamkeit und klarem Bewusstsein das tun, was wir damals in der Schule gelernt haben: Lesen und Verstehen. Danke.

Die Aufmerksamkeitsspanne und ihre Tücken
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